Das Netzwerk Süd 2008-2011

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Ein wichtiges Ziel von NWS war, die Neue Musik wieder ins Bewusstsein einer aufgeschlossenen, gleichwohl vom komplexen und vielgestaltigen Kulturleben in der Region auch etwas gesättigten und absorbierten Öffentlichkeit zu bringen. Menschen aus unterschiedlichsten gesellschaftlichen Bereichen sollten erreicht werden – also auch Menschen aus kulturfernen Schichten, die nicht ohne weiteres mit dem Musikleben in Berührung kommen. Dabei sollte "ein großes Potenzial an Kreativität, Experimentierlust und Spielfreude freigesetzt werden, das der neuen Musik eigen ist".

Als stabile Ko-Finanzierungs-Partner des NWS kamen weder die Stadt Stuttgart noch das Land Baden-Württemberg in Frage, deren Fördersysteme in hohem Maße institutionell gebunden sind.

NWS suchte daher vor allem die größeren Städte der Region außerhalb Stuttgarts als Partner zu gewinnen. Zahlreiche Gespräche mit Leitern von Kulturämtern, Musikschulen, Volkshochschulen, Chören, Orchestern und Schulen gingen der Gründung voraus und begleiteten die vier Netzwerkjahre.

Das NWS stellte damit seine Ko-Finanzierung auf drei Säulen: auf die Zuschüsse der teilnehmenden Kommunen, auf Mittel, die Mitglieder selbst einbrachten sowie Mittel von Stiftungen und Sponsoren.

Die weltweite Finanzkrise wirkte sich enorm auf die Region Stuttgart aus und hatte weitreichende Folgen für das NWS. Zahlreiche Förderzusagen von Kommunen und Stiftungen wurden zurückgenommen, geplante Projekte mussten abgesagt bzw. auf neue Grundlagen gestellt und auf viele Schultern verteilt werden.
Schließlich basierte die Ko-Finanzierung zur Förderung durch das Netzwerk Neue Musik auf weit über hundert Einzelförderungen.

Die teilnehmenden Kommunen und Einrichtungen hatten sehr unterschiedliche Vorstellungen zur Zusammenarbeit mit dem NWS. Entsprechend vielgestaltig waren die Aktivitäten des NWS. In Esslingen, Backnang, Göppingen und Nürtingen entstanden u.a. Konzertreihen neuer Musik, in Ludwigsburg, Bietigheim, Pforzheim und Ostfildern Projekte mit Musikschulen. Neue Werke für Blaskapellen, Guggenmusik-Ensembles, Chöre oder Laienorchester wurden beauftragt und erarbeitet.
Den größten Teil aber nahmen Workshops in Schulen und Musikschulen ein, darunter zahlreiche BEGINNER Konzerte sowie Projekte von Open_Music, die Kindern und Jugendlichen durch Improvisation die Fähigkeit vermitteln wollen, sich ohne sprachliche oder leistungsbezogene Hindernisse auszudrücken.

Im Laufe von vier Netzwerk-Jahren wurden in 31 Städten der Region Stuttgart 176 Konzerte, 46 Einführungsveranstaltungen und 160 eintägige bis mehrwöchige Workshops zu neuer Musik durchgeführt. Acht unterschiedlich geartete Fortbildungen richteten sich an Lehrer, Musikschullehrer oder Konzertpädagogen, drei Kompositionswettbewerbe lobten Werke für nicht-professionelle Musiker und Ensembles aus, aus denen ein Kanon von weit über 100 neuen Werken entstand.

Große Aufmerksamkeit erreichten das Jugendhausprojekt "Falsche Arbeit" von Hannes Seidl und Daniel Kötter, die Kinder-Musiktheaterproduktion "Ulla und die schöne Lau" von Thomas Stiegler und Manfred Weiß, "accompagnato" von Bernhard König, der ein Varieté für Menschen mit Behinderung und Orchestermusiker schuf und dafür den BKM Preis Kulturelle Bildung erhielt sowie zwei Jugendkongresse neuer Musik n[you] mit Projektwochen zu Komposition, Klangkunst, Computermusik, Improvisation, Instrumentenbau und Musiktheater.

Im multidisziplinären Projekt "Jetzt!" vereinte open_music Schüler aus weiterführenden wie aus Brennpunkt-Schulen derart überzeugend, dass die Initiative nach vier Jahren der Projektförderung ab 2012 in eine Dauerförderung übernommen wurde. Zudem erhielt sie zweimal den Preis "Kinder zum Olymp".

Ein Höhepunkt war das Festival "Zukunftsmusik" im Oktober 2010, das NWS in Zusammenarbeit mit der KulturRegion Stuttgart veranstaltete. Zwölf Komponisten sollten ein interdisziplinäres Projekt für eine von zwölf Festival-Städten erfinden und dabei Menschen der Orte in ihrer Arbeits- oder Freizeitwelt künstlerisch aktiv einbeziehen. Angesiedelt zwischen Musiktheater, Happening, Performance oder Installation entstand ein Dialog zwischen zeitgenössischer Kunst und Gesellschaft voller Abenteuer und Spielwitz. Kochkunst wurde auf der Bühne und eine Prozession in Ruinen zelebriert, (Klang-)Ressourcen eines Ortes umverteilt, Firmengelände wurde zum mysteriösen Parcours, Roboter demonstrierten gegen sozialen Kahlschlag und hunderte Musiker tauchten eine Stadt in ein gewaltiges Klangbad.

Die Alltagswelt der teilnehmenden Menschen wurde auf den Kopf gestellt, aber auch die Kriterien künstlerischer Arbeit. Der Spagat zwischen höchstem künstlerischen Anspruch und den Bedingungen partizipatorischer Projekte, der das NWS ständig beschäftigte, ist hier besonders eindrucksvoll gelungen. „Zukunftsmusik“ erreichte mit zahlreichen Rundfunk-Features und einem enormen Pressespiegel bundesweit große Aufmerksamkeit und wurde für den BKM Preis nominiert.

Für die Umsetzung der Projekte im NWS standen Büros und Struktur von Musik der Jahrhunderte zur Verfügung, deren Intendantin Christine Fischer auch verantwortlich für die Konzeption und Finanzierung war. Die Organisation der zahlreichen Projekte betreuten die beiden hauptamtlichen Projektleiter von NWS, Jakob Berger und Katharina Weißenborn, unterstützt von Claudia Mitev (Öffentlichkeitsarbeit Musik der Jahrhunderte) und Praktikanten.

Am "Roundtable" diskutierten die Mitglieder des NWS regelmäßig über Evaluation und neue Projekte. Zum Kernteam gehörten Ulrike Stortz und Scott Roller von open_music, Christof Löser von Suono Mobile, Thomas Löffler vom Ensemble Phorminx sowie die Konzertpädagogen Ute Kabisch aus Ludwigsburg, Bernd Gehlen aus Bietigheim und Albrecht Imbescheid aus Ostfildern.

Der fruchtbare und kollegiale Diskurs der Teilnehmer im NWS bildet nun die Grundlage für ein neues, größeres Netzwerk, das sämtliche Protagonisten der Neuen Musik in Baden-Württemberg einschließt und das nach dem Vorbild von Netzwerk Süd und Mehrklang Freiburg eine nachhaltige Vermittlung neuer Musik im ganzen großen Land Baden-Württemberg vorantreiben wird.

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